«Ein konstruktiver Kompromiss: der Natur Raum geben und den Energieausbau ermöglichen»
Carte Blanche für Loïc Pellissier, ETH Zürich und WSL
07.11.2022 – Die Ökologische Infrastruktur stärken und Biodiversitätsgebiete einführen, in denen ein Energieausbau möglich ist: der Nationalrat hat einen konstruktiven indirekten Gegenvorschlag zur hängigen Biodiversitätsinitiative verabschiedet. Damit schützen wir die verbliebenen Schweizer Naturperlen, stärken unsere Lebensgrundlagen und dämpfen den Klimawandel.
Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder und muss nicht mit der Haltung der SCNAT übereinstimmen.
Unsere Schweizer Berglandschaften sind schön wie Postkarten– und dennoch geht es der Biodiversität bei uns insgesamt schlecht. Der Abwärtstrend ist ungebrochen, wie zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zeigen. Hauptursachen sind die Verbauung der Landschaft, biodiversitätsschädigende landwirtschaftliche Praktiken, der Verschleiss von Ressourcen, die Umweltbelastung und zunehmend auch der durch uns verursachte Klimawandel.
Zwar setzen zahlreiche Akteure mit Elan Massnahmen zu Gunsten der Biodiversität um. Diese zeigen lokal Erfolge. Gleichzeitig gab es in den letzten Jahren nur sehr wenige konkrete politische Entscheidungen, welche zum Ziel haben den Rückgang der Biodiversität in der Schweiz aufzuhalten.
Indirekter Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative
Die zunehmende Sorge der Bevölkerung um die Biodiversität hat zur Biodiversitätsinitiative geführt, welcher der Bundesrat einen indirekten Gegenvorschlag gegenübergestellt hat. Dieser schlägt eine Revision des Natur- und Heimatschutzgesetzes (NHG) vor, wobei die Ökologische Infrastruktur – ein Netzwerk von bereits bestehenden und neuen ökologisch hochwertigen Flächen für die Biodiversität – eine zentrale Rolle einnimmt.
Die Institutionen des ETH-Bereichs, wie auch die Akademien der Wissenschaften Schweiz, haben sich in ihrer Stellungnahme zur Revision des NHG positiv geäussert. Sie sehen den Gegenvorschlag als «pragmatischen und zielführenden Weg, um den Zustand der Biodiversität in der Schweiz positiv zu beeinflussen».
Der Nationalrat und seine Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK-N) haben bereits über die NHG-Revision diskutiert und ergänzend als Bestandteil der Ökologischen Infrastruktur sogenannte Biodiversitätsgebiete von nationaler Bedeutung vorgeschlagen. In diesen sollen gewisse Nutzungen, insbesondere die Produktion erneuerbarer Energien, erlaubt bleiben.
Biodiversitätsgebiete als pragmatischer Ansatz
Ökologisch hochwertige Flächen für die Biodiversität zu sichern und dabei Nutzungen zuzulassen, welche die Biodiversität nicht beeinträchtigten, ist in der aktuellen Situation mit Versorgungsengpässen im Energie- und Rohstoffbereich ein konstruktiver und zweckmässiger Vorschlag, um die verschiedenen Krisen angemessen und ausgewogen zu anzugehen.
Der Vorschlag der Biodiversitätsgebiete bietet gleichzeitig Synergien mit dem Klimaschutz und der Anpassung an den Klimawandel, indem er wertvolle kohlenstoffspeichernde Ökosysteme bewahrt oder deren Aufwertung fördert. Die Kriterien für die Auswahl der Biodiversitätsgebiete können wissenschaftlich hergeleitet werden – wie dies auch bei den bestehenden Biotopen von nationaler Bedeutung der Fall ist; dafür stehen gute Grundlagen zur Verfügung. Solche Biodiversitätsgebiete könnten zum Beispiel Rückzugsmöglichkeiten in Trockenperioden bieten, Gebiete mit national prioritären Arten und Lebensräumen, aber auch Flächen mit hohem Aufwertungspotenzial umfassen – letztere auch im Hinblick auf den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel.
Zeit zum Handeln
Mit jedem Tag verlieren wir nicht nur noch mehr Biodiversität; wir schädigen auch unsere Lebensgrundlagen weiter wie sauberes Trinkwasser, Bodenfruchtbarkeit, Erholungsmöglichkeiten oder die Widerstands- und Anpassungsfähigkeit unserer Umwelt. Nicht jede oder jeder begeistert sich für einzelne Tier- oder Pflanzenarten. Alle aber sollten sich aus Eigeninteresse dafür einsetzen, unsere Lebensgrundlagen, welche auf der Biodiversität basieren, zu erhalten. Damit stärken wir auch die Natur so, dass sie sich an den Klimawandel anpassen kann.
Ich hoffe sehr, dass der Ständerat nun dem konstruktiven Vorschlag des Nationalrats folgt und die Revision des NHG inklusiv der vorgeschlagenen Biodiversitätsgebiete mit Blick auf die langfristigen Konsequenzen für Natur und Mensch und die Dringlichkeit diskutiert. Wir müssen die anstehenden Herausforderungen gemeinsam angehen und endlich langfristig wirksame Lösungen finden.
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Loïc Pellissier untersucht an der Eidg. Forschungsanstalt WSL und der ETH Zürich sich verändernde Landschaften und Ökosysteme. Er ist Vizepräsident des Forums Biodiversität der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz.
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