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Bild: ESO, R. Fosbury

«Zur Klimakrise sprechen wir weiterhin Klartext!»

Carte blanche für Thomas Stocker, Universität Bern

31.05.2021 – Gegen die Verbreitung von falschen Informationen zum Klimawandel müssen wir die wissenschaftlichen Fakten sprechen lassen. Diese zeigen, dass die Schweiz keineswegs die Musterschülerin ist, als die sie gewisse Kreise darstellen. Umso wichtiger ist das neue CO2-Gesetz.

Carte Blanche / Thomas Stocker
Bild: Universität Bern

Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder und muss nicht mit der Haltung der SCNAT übereinstimmen.

Ich wurde schon oft zurechtgewiesen, wenn ich mich als Klimaforscher über die notwendigen Schritte zur Abwendung der Klimakrise öffentlich geäussert habe, ­– sogar vom ehemaligen Parteipräsidenten der SVP. Dass dies selbst nach dem Pariser Abkommen, das die Schweiz 2017 ratifiziert hat, immer noch vorkommt, wundert mich aber. In Paris hat sich nämlich die Politik nach jahrzehntelangen Verhandlungen geeinigt, klare Ziele zum Klimaschutz zu definieren. Das Abkommen stützt sich auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse über den menschgemachten Klimawandel und die ungebremste Klimakrise. Die Wissenschaft sagt, wie dieses gesellschaftlich-politisch vereinbarte Ziel zu erreichen ist: Die Emissionen aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas müssen bis 2050 auf netto null. Und: Klimaschutz ist günstiger als Klimaschäden es sind.

Systematische Verbreitung von Unwahrheiten

Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind wir verpflichtet, diese Informationen zu teilen, besonders wenn gewisse Kreise im Vorfeld der Abstimmung vom 13. Juni über das neue CO2-Gesetz Falschinformationen und Verneblungen verbreiten.

So behauptet Avenergy, vormals Erdölvereinigung: «Die Schweiz ist vorbildlich unterwegs.» Deshalb hätten wir vernünftig zu sein und das CO2-Gesetz abzulehnen. Mit Flyern, Inseraten und Auftritten in den Medien und im Web beeinflusst Avenergy die Öffentlichkeit zusammen mit der SVP, Swissoil und verschiedenen Autoverbänden an vorderster Front.

Mit Fakten haben solche Aussagen nichts zu tun. Sie reihen sich ein in die systematische Verbreitung von Unwahrheiten, die seit Jahrzehnten anhält und den Klimaschutz torpediert. Die Fakten liefern aktuelle Zahlen des internationalen Wissenschaftsnetzwerks Global Carbon Project: Die Schweiz hat ihre CO2-Emissionen im Inland von 1990 bis 2018 um 7,3 Millionen Tonnen reduziert (minus 16 Prozent). Das ist in 28 Jahren völlig ungenügend. Bei diesem Schneckentempo sinken unsere Inlandemissionen bis 2050 gerade einmal um 33 Prozent statt auf null. Dazu kommt: Durch unseren Konsum von Gütern aus dem Ausland stiegen die CO2-Emissionen im gleichen Zeitraum um über 40 Millionen Tonnen (eine Verdoppelung). Betrachtet man die gesamten Emissionen – die im Inland und die von uns im Ausland verursachten –, stösst die Schweiz also über 40 Prozent mehr CO2 aus als noch 1990. Wir sind in keiner Weise vorbildlich unterwegs. Dänemark und Schweden reduzierten ihre Emissionen im gleichen Zeitraum um 17 Prozent, um nur zwei der im Klimaschutz führenden Länder Europas zu nennen. Die Schweiz befindet sich trotz ihrer hervorragenden Ausgangslage (Geld, Technologie und Köpfe) auf den hintersten Rängen. Da heisst es in der Tat vernünftig zu sein – indem wir das neue CO2-Gesetz konsequent umsetzen.

Fakten seit über 50 Jahren

Dass Interessenverbände im politischen Prozess den Fakten wenig verpflichtet sind, ist hinlänglich bekannt. Das Wissen zum Klimawandel wäre ebenso bekannt. Bereits 1968 schrieb das American Petroleum Institute, dass der Anstieg von CO2 in der Atmosphäre durch die Verbrennung von Kohle und Öl verursacht sei und dass sich dadurch die Temperaturen erhöhen, die Eiskappen abschmelzen und der Meeresspiegel ansteigen können. 1978 publizierten Uli Siegenthaler und Hans Oeschger, meine Vorgänger an der Universität Bern, detaillierte Berechnungen zum menschgemachten CO2-Anstieg in der Atmosphäre und zur Verteilung dieser Emissionen in der Biosphäre und im Ozean. Sie hielten fest, dass eine maximale CO2-Grenze nicht überschritten werden dürfe, damit die atmosphärische Strahlungsbilanz, also die Temperatur der Erdoberfläche, nicht in gefährlicher Weise gestört werde.

16 Jahre später trat die Uno-Rahmenkonvention über den Klimawandel in Kraft, die verlangt, dass eine gefährliche menschgemachte Einwirkung auf das Klimasystem verhindert werden müsse. Weitere 21 Jahre später legt das historische Pariser Abkommen fest, dass die Erwärmung gegenüber vorindustriell deutlich unter 2 Grad Celsius gehalten werden soll. Es verpflichtet die Länder, die Treibhausgas-Emissionen zu senken und alle 5 Jahre neue, schärfere Ziele umzusetzen. Die unermüdliche Arbeit von Tausenden von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Rahmen des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) legte die robuste Basis für Paris.

Das neue CO2-Gesetz stellt die Weichen richtig

Ohne Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Klima und die drohenden Gefahren, wenn die Ziele von Paris verpasst werden, wären wir gänzlich den Halbwahrheiten und Lügen von Interessensgruppen ausgesetzt. Welche kostspieligen und tragischen Konsequenzen das Ignorieren von Fakten mit sich bringen kann, haben wir während der Covid-Pandemie in denjenigen Ländern vorgeführt bekommen, in denen die Wissenschaft nicht gehört oder zurückgebunden wurde. Aus diesem Grund sprechen meine Kolleginnen und Kollegen und ich weiterhin Klartext. Auch zur Abstimmung über das CO2-Gesetz vom 13. Juni.

Das neue CO2-Gesetz ist das Resultat eines langwierigen politischen Prozesses, in welchem nach zähem Ringen Mehrheiten gefunden wurden. Das Gesetz stellt die Weichen richtig und bringt die Schweiz endlich auf den Weg eines effizienten, sozial verträglichen und wirtschaftlich profitablen Klimaschutzes.

Thomas Stocker ist Professor an der Universität Bern und leitet dort die Abteilung Klima- und Umweltphysik. Der Klimaforscher war seit 1998 Mitautor der Berichte des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Zwischen 2008 und 2015 leitete er die Arbeitsgruppe I des IPCC.

Autoren: Prof. Dr. Thomas Stocker

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